Einführung zum Werk

Kunst lebt vom Betrachten – sie ist Nahrung für Geist und Seele und deshalb existenziell

Unter dem Titel „Dialoge eröffnen – Religionen begegnen sich in der Kunst“ wurde über den Zeitraum von 10 Jahren eine multikulturelle Ausstellung in 24 deutschen Städten präsentiert, privat initiiert von Edita und Dr. phil. Jürgen Schäfer aus Heidelberg und finanziell unterstützt durch das Deutsche Bundesministerium des Innern sowie vom Anne-Frank-Fonds Basel. 22 Künstler mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund präsentierten ein bis mehrere Arbeiten, die in ihren verschiedenen Ausdrucksformen einerseits Diversität und andererseits im Zusammenspiel Homogenität vermitteln.

Nachdem die dafür nötigen finanziellen Mittel gestrichen wurden, entschieden sich zwei der Künstler, Ali Yadegar Youssefi, in den 70er-Jahren Leiter der Kunstakademie in Teheran, sowie der von der Werkkunstschule Köln kommende Zeichner und Grafiker Gereon Schatten, den Grundgedanken dieser Initiative fortzusetzen. In dreijähriger Arbeit wurden 75 gemeinsame Bilder geschaffen, die Symbole aus Orient und Okzident in überraschender Harmonie miteinander verbinden. Das Besondere daran: Ausgangspunkt ist eine gemeinsame Arbeitsfläche (Papier und Leinen), welche die Künstler nacheinander „bearbeiten“ und dabei die jeweiligen eigenen Formen und Farben mit denen des anderen verbinden. Sie gehen sogar so weit, die Grenzen der eigenen Symbole und Darstellungen aufzuheben und ineinander fließen zu lassen. Dies geschieht ganz ohne Absprache: Der eine setzt das fort, was der andere begonnen hat und bringt somit das Bild zur Vollendung: Scheinbar Trennendes wie unterschiedliche Lebenswelten und -stile werden zu einer wirkungsvollen Einheit verbunden.

Dies ist nur deshalb möglich, weil die Arbeit beider Künstler durch ihre gemeinsamen Werte von Solidarität, Freiheit, Gleichheit und Nächstenliebe getragen sind und die Motivation darin besteht, diese Werte in die Welt hinauszutragen. Lässt sich der Betrachter auf diese Bilder ein, beginnt er eine Entdeckungsreise in eine fantastische Welt, die den Menschen in seinem Innersten ansprechen und berühren und seine eigene Kreativität anregen soll. Die Überfülle visueller Reize ist eine gewollte Anspielung auf und gleichzeitig ein Gegenpol zur heutigen, oft sinnentleerten Konsumwelt und führt im besten Fall zu der Frage, wie der Einzelne sein Leben darin weiterhin gestalten möchte.

Vertieft wird der innere Dialog zwischen Bild und Betrachter und der daraus gezogene Erkenntnisgewinn dadurch, dass eine Transformation in das Außen geschieht: Die Ausstellungsbesucher beginnen einen sprachlichen Austausch und inspirieren sich dadurch gegenseitig. All dies ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Die Werke fordern Vieles vom Betrachter ab, wobei ein kunstgeschultes Auge sicherlich einen schnelleren Zugang ermöglicht als dem Laien. Aber gerade das ist ja die Herausforderung und steht im Gegensatz zu der heutigen, oft plakativen und vielfach beliebigen Kunst. Ganz bewusst arbeiten Ali Yadegar Youssefi und Gereon Schatten mit herkömmlichen Materialien, es fehlen jegliche ablenkende Elemente und alles beruht auf einem soliden Fundament künstlerischer Reife, Könnens und Perfektion.

Beispielhaft sind hier zwei Zeichnungen angeführt, die das Arbeitsprinzip verdeutlichen:

Beiden Künstlern steht eine 50 % Fläche zur Verfügung, wobei die Einteilung immer unterschiedlich vorgenommen wird. Die Menschengesichter zeigen sich jeweils auf der Hälfte, links bzw. rechts des Blattes, genauso ist es möglich, dass sich der Arbeitsuntergrund in „Oben“ und „Unten“ einteilt, wie beim folgenden Sujet „Pferde“.

Auf anderen Bildern ist eine Diagonale erkennbar oder auch willkürlich verteilte Spots, wobei auch hier genau das Halb-und-Halb Prinzip eingehalten wird.

Birgit Heck-Schatten

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